Dieser Artikel ist Teil unserer Zeitung zur Kommunalwahl 2025.
Autor*in: Face 2 Face und Schlafen statt Strafen
Es wird immer offensichtlicher, insbesondere im Stadtbild in der Innenstadt: Die Zahl der Menschen ohne festen Wohnsitz und der Menschen, die auf Einnahmen durch Betteln oder Pfandsammeln angewiesen sind, ist rapide gestiegen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Menschen ohne festen Wohnsitz nahezu verdoppelt.
Hinter all diesen Menschen stecken Einzelschicksale. Gründe für Wohnungslosigkeit sind individuell und vielfältig, jedoch sind die Hauptursachen für steigende Armut und Wohnungsnot strukturell. Die Hürden, um das Sicherungs- und Unterstützungssystem unseres ‚Sozialstaates‘ in Anspruch zu nehmen, sind zu hoch angesiedelt, das Hilfesystem ist durchsetzt von neoliberaler Markt- und Verwertungslogik und Inflation. Fluchtursachen verschärfen die angespannte Situation zusätzlich.
Menschen auf der Straße leben buchstäblich am Rande unserer Gesellschaft. Sie sind massiv von Stigmatisierung und Exklusion betroffen und der Diskurs um Wohnungslosigkeit ist dominiert von menschenverachtenden Positionen. Er wird durch eine unmenschliche Härte beherrscht, die einen erschaudern lässt.
„Angenehmes Shopping-Erlebnis“, „Bettelverbotszonen“, „Belästigung“, „aggressives Betteln“, „Ordnungswidrigkeiten„, „unerlaubtes Campieren“ – um diese und ähnliche Schlagwörter dreht sich zurzeit die Debatte, wenn es um Wohnungslose geht.
Aber wann hat das eigentlich angefangen, so zu klingen? Sind es wirklich die Drogen, die immer härter werden, die Wohnungslosen, die immer dreister betteln? Oder gibt es seit einigen Jahren einen vehementen Rechtsruck, der bei den Ärmsten und Schwächsten ansetzt?
Es ist erschütternd, wenn Wohnungslose berichten, wie ihnen schamlos auf der Straße von Passant*innen gesagt wird: „Dich hätten sie früher auch vergast.“ Doch genau dies ist momentan die bittere Realität. Eine Diskursverschiebung, die Dinge wieder sagbar macht, hat längst auch Einzug gehalten in die Auseinandersetzung mit Armut und Wohnungslosigkeit. Der Rechtsruck, welcher einhergeht mit dem massiven Erstarken gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, trifft auch wohnungslose Menschen mit besonderer Härte. Hierbei dominiert eine Logik, die Menschen nicht als Betroffene eines dysfunktionalen Sozialstaates ansieht, sondern ihre prekäre Situation wie selbstverständlich als eigenverschuldet begreift.
So reicht es nicht mehr, nur anzuprangern und darauf aufmerksam zu machen, dass wir mehr Unterstützung für Menschen in prekären Lebenslagen brauchen, mehr städtischen Wohnraum, mehr niedrigschwellige Übernachtungsangebote, mehr Finanzierung sozialarbeiterischer Angebote. Neben diesen Forderungen, die seit Jahren von Initiativen und Wohlfahrtsträgern an die Politik herangetragen werden, muss das Thema Wohnungslosigkeit und Armut inhaltlich auch Teil von Kampagnen sein, die sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit richten. Thematisierung von Wohnungslosigkeit und von Armut der betroffenen Menschen muss Teil von antifaschistischer Bildungs- und Aufklärungsarbeit sein.
So fordern wir von der Kommunalpolitik nicht, wie es momentan häufig passiert, einen rechten Diskurs zu befeuern, indem Wohnungslosigkeit primär als Störung des Stadtbildes begriffen wird, sondern den tatsächlichen Ursachen der zunehmenden Prekarisierung ins Auge zu sehen und diese zu bekämpfen.
Wir fordern mehr Menschlichkeit und Empathie und das Ernstnehmen eines Menschenrechtes auf Wohnung. Wir fordern mehr niedrigschwellige Hilfe und Unterstützung für vom sozialen Sicherungssystem abgekoppelte Menschen. Wir fordern Sanktionslosigkeit für Menschen, deren prekäre Lebenslage wohl schon Bestrafung genug ist. Wir fordern gesellschaftliche Aufklärung über Armut und ihre Ursachen statt einer diskursiven Verschärfung von Stigmatisierung.
Konkret heißt dies zum einen ein Ausbau der bestehenden Angebote der Wohnungs- und Suchtkrankenhilfe und die Schaffung von mehr sozialem, nicht privatisiertem, Wohnraum im Rahmen eines umfassenden städtischen Programms. Zum anderen die Einflussnahme auf den gesellschaftlichen Diskurs und das Beenden von Narrativen, die wohnungslose Menschen als Menschen zweiter Klasse einordnen.
In der Dortmunder Zivilgesellschaft gibt es neben großartigen Vereinen wie z.B. bodo e.V. mehrere solidarische Initiativen in Selbstorganisation, die sich gegen Verdrängung von wohnungslosen Menschen aus der Innenstadt und allen damit verbundenen Repressions- und Vertreibungsstrategien sowie damit zusammenhängende Kampagnen einsetzen.
Die Bürger*inneninitiative „Schlafen statt Strafen“ wurde zum Beispiel durch ein großes Protestkamp im Winter 2023 bekannt und ist auch weiterhin aktivistisch aktiv. Gruppentreffen finden immer mittwochs im Kasino in der Mallinckrodtstraße 234 statt. Schreibt gerne vorab an schlafenstattstrafen@riseup.net, wenn ihr vorbeikommen wollt.
Face2Face macht eher praktische Arbeit in Form von Touren jeden Sonntag, um Menschen auf der Straße z.B. mit Getränken und Snacks zu versorgen, aber auch, um sich Zeit zu nehmen für Gespräche auf Augenhöhe. Auch hier werden immer Menschen gesucht, die mitmachen. Meldet euch gerne per Mail bei face2face@riseup.net.