Dieser Artikel ist Teil unserer Zeitung zur Kommunalwahl 2025.
Autor*in: Solidaritätskreis Justice for Mouhamed
Der junge Geflüchtete Mouhamed Lamine Dramé wurde am 8. August 2022 von der Dortmunder Polizei erschossen. Nach dem tödlichen Einsatz organisierte sich Protest, der bis heute anhält – und neben Aufklärung und Gerechtigkeit auch Perspektiven für eine Welt ohne Polizeigewalt entwickelt.
Die Flucht überlebt, von der deutschen Polizei getötet
Mouhameds Familie beschreibt ihn als hilfsbereiten, freundlichen, fußballbegeisterten jungen Menschen, Freund, Sohn, Bruder und BVB-Fan. Als Teil einer großen Familie im senegalesischen Dorf Ndiafatte trat er 2019 die Reise nach Europa an, erst über Land bis nach Marokko, dann im Boot übers Mittelmeer. Mehrere Schicksalsschläge auf der gefährlichen Flucht traumatisierten ihn schwer. Nach Jahren schaffte er es im August 2022 nach Dortmund, Heimat seines geliebten BVB. Hier verbrachte er aber nur wenige Tage.
Am 8. August findet ein Mitarbeiter der Jugendhilfeeinrichtung St. Elisabeth in der Nordstadt, in der Mouhamed untergebracht ist, ihn in einer Nische im Hinterhof sitzend und sich ein Messer gegen den Bauch haltend. Als er nicht auf Ansprache reagiert, ruft die Einrichtung die Polizei. 12 Beamt*innen der Wache Nord1 kommen. Sie versuchen nur kurz, ihn anzusprechen, und als Mouhamed nicht reagiert, lässt Einsatzleiter Thorsten H. ihn in der Nische, die nur einen Ausweg hat, von mehreren Beamt*innen umstellen. Er befiehlt, eine ganze Kartusche Reizgas auf den ruhig sitzenden Mouhamed zu entleeren. So wird die zuvor über 30 Minuten statische Situation eskaliert. Mouhamed, leicht getroffen, erhebt sich in die einzige Richtung, die nicht verschlossen ist, und wird von zwei dort postierten Beamt*innen mit Tasern beschossen. Nur 0,7 Sekunden später wird er von fünf Schüssen aus der Maschinenpistole des „Sicherungsschützen“ Fabian S. getroffen. Bevor Rettungskräfte hinzugerufen werden, legen die Beamt*innen Mouhamed noch Handschellen an. Kurze Zeit später ist er tot.
Der Schmerz der Familie Dramé ist unermesslich. Mouhamed war ein besonderer junger Mensch. Viele trauern gemeinsam mit ihr um ihn. Auch viele Menschen im Stadtteil sind schwer betroffen von der Gewalt gegen diesen Menschen, der ein Leben in Dortmund hätte beginnen können, vielleicht seinen Traum erfüllt hätte, Fußballer zu werden, und noch oft seinen geliebten BVB spielen zu sehen.
Unmittelbar nach dem Einsatz finden eine Demo vor der Wache Nord und eine Mahnwache statt, die seitdem jeden Monat wiederholt wird. Bald entsteht der „Solidaritätskreis für Mouhamed“, bestehend aus vielen Menschen, die von Mouhameds Geschichte bewegt sind und aktiv werden wollen. Gemeinsam wurden inzwischen drei Großdemonstrationen mit bundesweiter Unterstützung in Dortmund organisiert. Vor allem entstand Kontakt zu Mouhameds Familie im Senegal. 2024 konnten Mouhameds Brüder Sidy und Lassana nach Deutschland reisen und als Nebenkläger am Prozess gegen fünf der zwölf am Einsatz beteiligten Beamt*innen vorm Dortmunder Landgericht teilnehmen. Sie erhofften sich von der deutschen Justiz Gehör und Anerkennung.
Konsequenzlosigkeit für tödliche Polizeigewalt
Statt Gerechtigkeit durften sie jedoch den 31 Prozesstagen nur schweigend beiwohnen, während polizeilichen Darstellungen die Bühne geboten wurde. Das Verfahren zeichnete sich durch entpersonalisiertes und entwürdigendes Sprechen über Mouhamed sowie Reproduktionen von Rassismus und Opferfeindlichkeit aus. Am Ende standen Freisprüche für alle fünf Beamt*innen: Obwohl das Gericht anerkennt, dass Mouhamed zu keinem Zeitpunkt andere angegriffen oder gefährdet hat, wird den drei Schütz*innen zugestanden, fälschlich von einer solchen Notwehrlage ausgegangen zu sein.2 Die Familie Dramé erwartet nun die Revision gegen das Urteil.
Von einer Veränderung bei der Dortmunder Polizei seit dem tödlichen Einsatz gegen Mouhamed kann keine Rede sein.– Nur drei Monate danach töteten Polizist*innen in Dorstfeld einen Menschen durch einen Tasereinsatz, im April 2024 den wohnungslosen Andrzej an der Reinoldikirche und im März 2025 den Scharnhorster Nejib Boubaker durch Schüsse. Unser Beileid und unsere Solidarität gelten allen Getöteten, ihren Familien und Freund*innen.
Der zivilgesellschaftliche Kampf um Gerechtigkeit
Mouhameds Familie erhofft sich weiterhin Gerechtigkeit für ihren Sohn und Bruder. Sie hatte nicht etwa hohe Einzelstrafen für die Polizist*innen gefordert, sondern eine ehrliche Entschuldigung, eine Korrektur des falschen Bildes von Mouhamed als aggressivem Täter und strukturelle Veränderungen, die dafür sorgen, dass kein anderer Mensch Mouhameds Schicksal erleiden wird. Wie können wir diese Forderungen umsetzen?
Mit der monatlichen Mahnwache nah des Tatorts sowie jedes Jahr am 8. August bietet der Solidaritätskreis einen Rahmen für ein kontinuierliches, selbstbestimmtes Gedenken entlang der Wünsche der Familie Dramé. Wir nennen Mouhameds Namen und erzählen seine Geschichte gegen das Vergessen, in dieser Stadt und verteidigen sein Andenken gegen Täter-Opfer-Umkehrungen. Und setzen uns, gemeinsam mit vielen anderen weltweit, für ein Umdenken über die Rolle der Polizei ein, gegen ihre konsequenzlose Gewalt insbesondere gegenüber von Rassismus, Wohnungslosigkeit und Armut Betroffenen, und für alternative Interventionsmöglichkeiten auch in psychischen Ausnahmesituationen, in denen Menschen Hilfe und Zuspruch benötigen statt Zwangsmittel und Gewalt.
Wir kämpfen auch gegen die Kriminalisierung der Nordstadt, die als „Problemviertel” markiert und stark poliziert wird. In einem anderen Viertel und ohne den strukturellen Rassismus innerhalb der Polizei, der den Blick auf diesen Stadtteil prägt, wäre dieser Einsatz so nicht zu denken.
Um Einsätze wie den gegen Mouhamed in Zukunft zu verhindern, müssen wir als Zivilgesellschaft mehr Verantwortung füreinander übernehmen, uns im öffentlichen Raum aufmerksam und solidarisch begegnen, gegenseitige Hilfe organisieren, Nachbar*innenschaften stärken, niedrigschwellige Angebote aufbauen. Der Solidaritätskreis freut sich über Euer Kommen zu Gedenkveranstaltungen und Unterstützung in verschiedenen Formen. Lasst uns Mouhameds Andenken hochhalten und dafür kämpfen, dass seine Geschichte Teil einer Veränderung zu einer gerechteren Welt für uns alle wird.
Rest in power, Mouhamed!
Für die Unterstützung der Familie Dramé und die kommende Revision freuen wir uns außerdem über Spenden an:
Lückenlos e.V.
IBAN: DE19430609674108589900
GLS Bank Bochum
Verwendungszweck: „Solikreis Mouhamed“
Fußnoten:
1 In der für Rassismus und Gewaltexzesse berüchtigten Dortmunder Polizeiwache Nord arbeiten etwa der sexistische Gewalttäter Malte F. sowie andere Einzelpersonen und Cliquen mit menschenfeindlichen Einstellungen und Praxen, wie z.B. der medial bekannt gewordene „Libanesenjäger“. In Folge 6 des WDR-Podcasts “Mouhamed Dramé – Wenn die Polizei tötet” werden die alltäglichen Praxen der Polizei in der Dortmunder Nordstadt näher beleuchtet (https://www.ardaudiothek.de/episode/mouhamed-dram-wenn-die-polizei-toetet-wdr-lokalzeit/folge-6-die-polizei/wdr/13530805/). Die Polizeiwache soll 2026 in einen größeren Neubau umsiedeln.
2 Der gesamte Prozessverlauf wurde vom Dortmunder Radio Nordpol im Rahmen eines Podcasts dokumentiert: https://radio.nrdpl.org/mld_prozess/. Schriftliche Berichte zu allen Prozesstagen finden sich unter https://justice4mouhamed.org/prozessbegleitung/.